Kap Hoorn:  Am Ende Amerikas ein ewiger Wind

Die Drake-Straße vor Kap Hoorn – eine der gefürchtetsten Schifffahrtsrouten. Hunderte Schiffe gingen vor der Südspitze Südamerikas in Stürmen unter. Es ist der größte Schiffsfriedhof der Welt

Ich bin der Albatros,
der auf dich wartet
am Ende der Welt.

Ich bin die vergessene Seele
der toten Seeleute,
die von allen Meeren kamen
und vor Kap Hoorn kreuzten.

Doch sie starben nicht
in den tobenden Wellen.
Sie reisen heute auf meinen
Schwingen in die Ewigkeit,

mit dem letzten Aufbrausen
der antarktischen Winde.

(Sara Vial, chilenische Dichterin)

  Für Segler ist's der Traum - Kap Hoorn.

Es waren die Gewürze. Rückblende. Es waren die Gewürze. Sie begannen im Europa des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit eine heute kaum nachvollziehbare ökonomische, politische und soziale Rolle zu spielen. Die Erschließung einer „Gewürzroute“, eines Seewegs von Europa zu den Inseln Hinterindiens, des heutigen Indonesiens, wurde zur obersten Priorität in einer Zeit, in der man Pfeffer mit Gold aufwog.

Ein Weg führte nach Osten über den Indischen Ozean. Im Westen hielt der amerikanische Kontinent Europas Mächte vom ersehnten Ziel ab. Expedition um Expedition machte sich auf, suchte Durchfahrts- oder Umwegstrecken. Der Portugiese Ferdinand Magellan fand 1520 den nach ihm benannten Kanal zum Pazifik zwischen Südamerikas Festland und Feuerland. Vielleicht sah der Brite Francis Drake 1578 als erster Europäer Kap Hoorn: Er fuhr durch die Magellanstraße, kam in einen Sturm und kreuzte einige Tage gen Südosten.

Gesichert umrundete erst Ende Jänner 1616 der Holländer Willem Schouten das Kap: „Gegen Abend sichteten wir in Nordwest und Nordnordwest wieder Land, das gleiche Land, das südlich der Magellanstraße liegt. Es ist ein hohes, bergiges, schneebedecktes Land, es läuft zu einer Spitze aus, die wir Kap Hoorn nennen“, notierte er.

Kap der Öfen? Spanischer Irrtum!Schouten ist übrigens schuld, dass der Name das Kaps in mancherlei Sprachen falsch übersetzt wird. Auf Deutsch heißt's etwa oft „Kap Horn“, auf Englisch „Cape Horn“ – dabei hat das Ganze nichts mit einem Tier zu tun. Auf Spanisch sagt man „Cabo de Hornos“ – das heißt „Kap der Öfen“, verfehlt aber auch den Sinn. Schouten kam einfach aus der nordholländischen Stadt Hoorn. Daher der Name.

Noch lange nach der Entdeckung des Hoorns waren die Magellan-Straße und der schmalere, 1831 gefundene Beagle-Kanal im Süden Feuerlands die bevorzugten Routen, dabei sind die Strömungen ungünstiger. Für die großen stählernen Segelschiffe und Dampfer war aber später die Umfahrung des Hoorns die bessere Wahl.

Ein Maat auf dem Robbenfänger „Concord“ schrieb anno 1800: „Dieses lähmende, verdammte Wetter, das zu nichts gut ist, es macht mich bis in mein Herz krank. Ich rate niemandem, Cape Horn des Vergnügens willen aufzusuchen!“

Auf den langen Reisen der Segelschiffe war Kap Hoorn eine kurze Etappe, die es aber in sich hatte! Folgendes sollte man sich vorstellen: Eine riesige, den Erdball umspannende Wasserfläche, in die eine kleine Felsnase ragt. Hier toben oft Stürme aus Westen, manchmal von Osten, die gewaltige Wasserberge auftürmen. Dazu starke Strömungen aus dem wärmeren Pazifik in den kälteren Atlantik, mit Gewalt schieben sich tobende Fluten durch die Drake-Straße, den aus dem Atlantik kommenden Schiffen entgegen.

An bis zu 300 Tagen im Jahr Nebel, Regen, Schneesturm, Orkan. 265 km/h Windgeschwindigkeit maß man schon. An Schönwettertagen gibt sich die rumplige Wetterwaschküche aber ruhig, sanft, ja lieblich. Derlei Momente sind aber extrem selten. Eine alte Seemannsweisheit lautet denn auch: „Wenn du alt werden willst, meide Kap Hoorn und raffe rechtzeitig die Segel.“

Zerschellt. Gekentert. Entmastet.

Für die alten Seefahrer konnte der Mythos Kap Hoorn jäh zum Alptraum werden. Viele Schiffe strandeten auf Riffen, wurden durch Stürme entmastet, kenterten oder krachten in Eisberge.

Seit der Zeit des Goldrauschs in Kalifornien um 1850, als Glücksritter aus Europa auf schnellstem Weg mit Schiffen über Kap Hoorn nach Kalifornien fuhren, vergleicht man die Zeit, die ein Schiff braucht, um vom 50. südlichen Breitengrad vor Südamerika ums Kap auf 50° Süd auf der anderen Seite zu gelangen. Den Rekord stellte 1938 der deutsche Viermaster „Priwall“ auf: fünf Tage, 14 Stunden. Es kann aber auch etwas länger dauern: Die „Susanna“, ebenfalls ein deutscher Segelfrachter, brauchte 1905 dazu 99 Tage.

Überhaupt haben viele Kapitäne (etwa 1788 William Bligh von der „Bounty“, gegen den später gemeutert wurde) hier aufgegeben und liefen Amerikas Pazifikküste lieber im großen Bogen um die ganze Welt „von unten her“ über Südafrika und Australien an.

Viel ist hier nicht mehr los. Im Jahr 1905 sanken 53 von 130 Großsegelschiffen, die an Kap Hoorn vorbeiwollten. Nach der Öffnung des Panamakanals 1914 und transkontinentaler Überlandwege durch Amerika ging die Bedeutung der Route stark zurück. Bisweilen fahren noch Tanker, Kreuzfahrtschiffe und Flugzeugträger durch; als regelmäßige Schifffahrtsroute hat die Drake-Straße aber ausgedient.

Als letztes großes Schiff sank hier 1938 das Hamburger Schulschiff „Admiral Karfanger“ mit 60 Mann Besatzung.

Auch ihre Seelen reisten auf den Schwingen des Albatros mit den arktischen Winden in die Ewigkeit.

von YVONNE KIENESBERGER "Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2009)

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